Boy

8. März 2019

Die Wohnung meiner Kindheit war bescheiden, aber da sie in den Dreissigerjahren eingerichtet worden war, würden viele Möbel daraus heute als Raritäten gehandelt. Zum Beispiel die zwei Lloyd Loom-Sessel, die im Entrée gestanden hatten. Zwischen ihnen war der Boy platziert und hielt einen Aschenbecher aus rotbraunem Bakelit bereit. Der Boy war schwarz und trug eine Art Liftboy-Uniform. Auf Ebay findet man ähnliche Figuren, wenn man «Stummer Diener Mohr» eingibt. Anders als die dort angebotenen stilisierten Objekte hatte der unsrige einen naturalistisch gestalteten Kopf, der nicht zum Rest passte. Wahrscheinlich hatte mein Vater die Figur selber ausgesägt und dann von seinem Freund Fritz, dem Kunstmaler, bemalen lassen. So bekam der Boy schwarzbraune Locken und goldene Ohrringe, um die ich ihn als Kind beneidete.

Auch die Puppen, die mir mein Vater schenkte, waren schwarz. Da war Nelly, ein «Brunzditti» aus Gummi, dem man den Schoppen geben konnte, worauf man hinterher die Windeln wechseln musste. Und dann gab es noch eine kleine schwarze Puppe, der meine Mutter ein Kleid aus einer goldgelben Fransenbordüre genäht hatte.

Mein Vater interessierte sich nicht für Afrika, er hätte wohl gar nicht gewusst, wo das liegt. Er fand schwarze Männer und Frauen einfach schön. Als er mich später einmal in Paris besuchte, konnte er sich an den afrikanischen Menschen in der Metro nicht sattsehen. Sicher hat er sie ungebührlich lange angeschaut.

Schwarze Menschen sollten nicht dem Vergnügen anderer dienen, meint die Autorin Victoria Princewill. Die Vorlieben und Entscheide meiner Eltern wären heute lauter No-Gos. Princewill findet auch, weisse Menschen sollten keine schwarzen Emojis verwenden, das sei eine Form der kulturellen Aneignung.

Muss ich die Holzfigur der schwarzen Mutter, die mir meine senegalesische Freundin geschenkt hat, verbrennen? Darf ich die bunten Kleider nicht mehr tragen? Muss ich meiner Schwägerin – sie stammt von der Elfenbeinküste – die ivorischen Schmuckstücke zurückgeben? Und wem würde das etwas nützen? Oh Boy!

Aktuelles Boy

8. März 2019

Die Wohnung meiner Kindheit war bescheiden, aber da sie in den Dreissigerjahren eingerichtet worden war, würden viele Möbel daraus heute als Raritäten gehandelt. Zum Beispiel die zwei Lloyd Loom-Sessel, die im Entrée gestanden hatten. Zwischen ihnen war der Boy platziert und hielt einen Aschenbecher aus rotbraunem Bakelit bereit. Der Boy war schwarz und trug eine Art Liftboy-Uniform. Auf Ebay findet man ähnliche Figuren, wenn man «Stummer Diener Mohr» eingibt. Anders als die dort angebotenen stilisierten Objekte hatte der unsrige einen naturalistisch gestalteten Kopf, der nicht zum Rest passte. Wahrscheinlich hatte mein Vater die Figur selber ausgesägt und dann von seinem Freund Fritz, dem Kunstmaler, bemalen lassen. So bekam der Boy schwarzbraune Locken und goldene Ohrringe, um die ich ihn als Kind beneidete.

Auch die Puppen, die mir mein Vater schenkte, waren schwarz. Da war Nelly, ein «Brunzditti» aus Gummi, dem man den Schoppen geben konnte, worauf man hinterher die Windeln wechseln musste. Und dann gab es noch eine kleine schwarze Puppe, der meine Mutter ein Kleid aus einer goldgelben Fransenbordüre genäht hatte.

Mein Vater interessierte sich nicht für Afrika, er hätte wohl gar nicht gewusst, wo das liegt. Er fand schwarze Männer und Frauen einfach schön. Als er mich später einmal in Paris besuchte, konnte er sich an den afrikanischen Menschen in der Metro nicht sattsehen. Sicher hat er sie ungebührlich lange angeschaut.

Schwarze Menschen sollten nicht dem Vergnügen anderer dienen, meint die Autorin Victoria Princewill. Die Vorlieben und Entscheide meiner Eltern wären heute lauter No-Gos. Princewill findet auch, weisse Menschen sollten keine schwarzen Emojis verwenden, das sei eine Form der kulturellen Aneignung.

Muss ich die Holzfigur der schwarzen Mutter, die mir meine senegalesische Freundin geschenkt hat, verbrennen? Darf ich die bunten Kleider nicht mehr tragen? Muss ich meiner Schwägerin – sie stammt von der Elfenbeinküste – die ivorischen Schmuckstücke zurückgeben? Und wem würde das etwas nützen? Oh Boy!