Biografien, Aktuelles Happy Birthday Buster!
Vor 125 Jahren wurde der Stummfilm-Star Buster Keaton geboren. Er schuf Filme wie «Steamboat Bill jr.» oder «The General» und prägte das Hollywood-Kino in jenen goldenen Jahren, bevor die Technokraten es übernahmen. Aber eigentlich wäre Keaton gerne Ingenieur geworden.
Buster Keaton wird oft auf sein Stoneface und seine Stunts reduziert. Dabei war er vielseitig begabt und hatte das Glück, seine unterschiedlichen Fähigkeiten auch einsetzen zu können. Er wäre gerne Ingenieur geworden, meinte er einmal, aber niemand habe ihn nach seinen Wünschen gefragt. Kein Wunder. Nachdem er schon als Baby seinen Eltern die Schau gestohlen hatte, weil er unverhofft auf die Varieté-Bühne gekrochen kam, war der Fall klar. Mit drei Jahren wurde er fest ins Programm integriert. Seine Mutter Myra stammte aus einer Schaustellerfamilie und spielte mehrere Instrumente. Ihr verdankte Buster seine geringe Körpergrösse, die Leidenschaft fürs Kartenspiel und eine gewisse Affinität zur Musik. Im Film «The Playhouse» verkörpert er nicht nur alle Personen im Publikum und auf der Bühne, sondern auch sämtliche Musiker im Orchestergraben. Vater Joe Keaton, Tänzer und Akrobat, konnte auch gross gewachsenen Männern den Hut vom Kopf zu kicken. Von ihm hat der am 4. Oktober 1895 in Piqua Kansas geborene Joseph Frank Keaton nicht nur das Talent zur Akrobatik, sondern auch den Hang zum Flunkern. So erzählte er, seinen Spitznamen Buster habe er von keinem geringeren als Harry Houdini erhalten, als er mit eineinhalb Jahren eine Treppe hinuntergepurzelt sei. Houdini habe ihn aufgefangen und gerufen: «What a buster!». Von da an ersetzte der Insider-Ausdruck für einen Bühnensturz Keatons Vornamen und steht heute auch auf seinem Grabstein.
Ein begnadeter Akrobat
Vater Joe machte sich die Purzelfähigkeit seines Sohnes zu Nutze und gebrauchte das kleine Kind als Wischmopp. Er schubste und schleuderte ihn auf der Bühne herum und warf ihn auch mal ins Publikum, wenn einem Zuschauer das Gebotene nicht gefiel. «Man muss wissen, welche Muskeln man anspannen und welche man lockerlassen muss», erklärte Buster Keaton seine Technik, um schwere Stürze unverletzt zu überstehen. Die Darbietungen der Keatons, bei denen jeweils viel Mobiliar zu Bruch ging, riefen regelmässig Kinderschutzorganisationen auf den Plan, obwohl der Kleine nie eine Miene verzog. Auch das unbewegliche Gesicht war eine Idee von Keaton Senior. Das Publikum lachte nämlich lauter, wenn Buster vollkommen ernst dreinblickte. Trotz aller Körperbeherrschung kam es bei den Auftritten immer wieder zu schmerzhaften Zwischenfällen, vor allem, nachdem Vater Keaton von Bier zu Whisky gewechselt hatte. An seiner ersten ernsthaften Verletzung war Klein Buster allerdings selber schuld, resp. seine Neugier für alles Technische. Er steckte seinen Zeigefinger zwischen die Walzen einer Wäschemangel und verlor das vorderste Fingerglied. Als später in einem Film seine Hand in Grossaufnahme zu sehen sein musste, engagierte er zum ersten und einzigen Mal ein Double. Ansonsten machte er alle Stunts selber. Geprobt wurde nie. Buster fand, sobald man Szenen probe, bekämen sie etwas Mechanisches. Der Kameramann erhielt die Anweisung, weiter zu drehen, was auch immer passiert. Darum sind in Buster Keatons Filmen auch seine Unfälle zu sehen. In «Three Ages» zum Beispiel verpasst er das Dach, auf das er springen will, bekommt nur den Rand zu fassen und knallt mit dem Körper gegen die Backsteinfassade. In «Sherlock Jr.» rettet er sich vom Dach eines fahrenden Zuges indem er sich am Wasserkran festhält und dabei den Wasserfall auslöst. Durch dessen Wucht fällt er auf die Gleise und bricht sich einen Nackenwirbel.
Filmtalent und verlässlicher Freund
Mit zweiundzwanzig Jahren ging Buster Keaton nach New York und bekam sofort ein Engagement in einer Musical Comedy am Broadway. Schliesslich konnte er auch singen. Sein Ausscheiden aus dem Familien-Trio bedeutete das Ende der «Three Keatons»; die jüngeren Geschwister Louise und Jingles wurden vom Vater für untalentiert befunden. Einer der Gründe für Busters Weggehen war Joes zunehmender Alkoholkonsum; die harte Behandlung hatte er ihm nie übelgenommen. Zeit seines Lebens hielt er engen Kontakt zu seiner Familie, unterstützte sie, wenn nötig und verschaffte Joe immer wieder Rollen in seinen Filmen.
Seine erste eigene Filmrolle erhielt Keaton kurz nach der Ankunft in New York, als ein Bekannter ihn durch ein Filmstudio in der 48sten Strasse führte. Es wurde ein geradezu schicksalhafter Rundgang, auf dem Buster seinen späteren Produzenten Joe Schenk traf, ein Auge auf seine zukünftige Frau Nathalie Talmadge warf und Roscoe Arbuckle persönlich kennenlernte. Diese Beziehung sollte sich von allen dreien als die engste erweisen. Sie überdauerte die berufliche Trennung, den Medienskandal, der Arbuckle vernichtete und auch seinen frühen Tod. In Keatons Haus hing bis zuletzt ein grosses Portrait seines Freundes, dem er so viel verdankte. Anfang des 20. Jahrhunderts war Roscoe «Fatty» Arbuckle durch zahlreiche Kurzfilme berühmt geworden und führte inzwischen selber Regie. Bei ihrer ersten Begegnung schlug er Buster vor, in «The Butcher Boy» mitzuwirken, und zwar auf der Stelle. Man drehte bis Mitternacht; Keaton wirbelte durch die Kulissen und legte einen Head Spin hin, der jedem Breakdancer zur Ehre gereicht hätte. Am andern Tag kündigte er seinen Job am Broadway, bekam einen Crashkurs in Sachen Film und war bald nicht nur Schauspieler, sondern auch Arbuckles Assistent und Gag-Schreiber. Nur mit Roscoes Meinung, das Publikum habe den Verstand eines Zwölfjährigen, war er nicht einverstanden. Er fand, die Leute hätten Anrecht auf eine ehrlich und anständig erzählte Geschichte. Auch Arbuckles derbe Spässe mit seinem eigenen fetten Hintern, die häufigen Tortenschlachten und das allzu Klamaukige waren nicht nach Keatons Geschmack. Sein Humor war subtiler, die Gags ausgefallener und überraschender, wie er später in seinen eigenen Filmen beweisen konnte. Dennoch war die Zeit mit Roscoe die fröhlichste und verrückteste seines Lebens. Die beiden liefen nicht nur beim Filmen zur Hochform auf, sondern machten auch wichtige Leute der Filmindustrie zu Zielscheiben ihres Humors. So spielte Buster auf einer von Roscoe arrangierten Dinner-Party einen ungeschickten Kellner, der die Gäste brüskierte, aus Versehen auf den Truthahn fiel und damit Gastgeber Arbuckle – scheinbar – zur Weissglut trieb. Unterbrochen wurde die Zusammenarbeit im Jahr 1918 durch Keatons Kriegseinsatz in Frankreich, wo er beinahe erschossen worden wäre. Nicht vom Feind, sondern vom wachhabenden Soldaten, dessen Ruf er nicht gehört hatte, weil er wegen einer Ohrenentzündung nahezu taub war.
Nach dem Krieg kehrte Keaton glücklich in Arbuckles Comique Studio zurück, das inzwischen nach Hollywood verlegt worden war. Kurz darauf wechselte Roscoe zu Famous Players-Lasky, der späteren Paramount, um abendfüllende Spielfilme zu machen. Zu Busters grossen Überraschung bot ihm Joe Schenk daraufhin die Leitung des Studios an. Er sollte vorerst bei Kurzfilmen bleiben und drehte unter anderem den zum Klassiker gewordenen Streifen «One Week». Darin versucht ein Paar in den Flitterwochen, ein Fertighaus zusammenzuzimmern, was natürlich nicht gelingt.
Ein Händchen für Tiere, Kostüme und den ganzen Rest
In Keatons Jugendzeit war die Familie jeden Sommer, wenn die Theater geschlossen waren, zum Lake Michigan gefahren. Dort hatte Vater Joe in einer Künstlerkolonie ein Häuschen gebaut, in dem man die Ferien verbrachte. Hier in der Natur war Buster in seinem Element und träumte davon, später einmal eine Farm zu besitzen. Er war ein begeisterter Sportler und Angler und stolz auf sein Rezept für gegrillten Fisch. Zwischendurch verblüffte er die Leute mit seinen Clownereien, wenn er mit dem Fahrrad schnurstracks in den See fuhr. Zudem lieferte er ein erstes eindrückliches Beispiel seiner Ingenieurskunst und errichtete ein Toiletten-Häuschen, welches auseinanderfiel, sobald ein Unbefugter es benutzte.
Eine Farm hat Buster Keaton nie besessen. Er begnügte sich mit Hunden, meist Bernhardiner, besass auch mal eine eigene Forellenzucht und baute im Garten seines letzten Hauses einen Hühnerstall, der aussah wie ein Schulhaus. Die Hühner benannte er nach Hollywood-Diven. In seinen Filmen spielen jedoch Tiere immer wieder wichtige Rollen. Allen voran das Kapuzineräffchen Josephine, das in «The Cameraman» seinen Besitzer raushaut, indem es die Kamera bedient und während eines Bandenkriegs in Chinatown die aufregendsten Szenen dreht. In «Far West» verliebt sich Buster in eine Kuh namens «Brown Eyes». Um sie an sich zu gewöhnen, hatte Keaton sie überall hin mitgenommen, erst an einem Strick, später nur noch an einem unsichtbaren Bindfaden. Sie folgte ihm bald willig wie ein Schosshündchen. Heute werden für solche Arbeiten spezielle Filmtier-Trainer engagiert, damals machte man das selber. Buster war auch Requisiteur – seine abgeflachten Borsalinos fertigte er stets selbst – aber vor allem war er Gag-Erfinder, Regisseur, Cutter und Hauptdarsteller in Personalunion. Nur Drehbücher schrieb er keine. Er hatte nie eine Schule besucht, aber das war nicht der Grund. Weder er noch Arbuckle brauchten ein Drehbuch. Es genügte, einen guten Anfang und ein gutes Ende zu haben, der Rest war Improvisation. Die meisten Geschichten, vor allem diejenigen der Kurzfilme, sind denn auch nach einem ähnlichen Muster gestrickt: Buster verliebt sich eine unnahbare Schönheit und tut alles, um sie zu erobern. Bis dies gelingt, steckt er manche Schlappe ein, riskiert sein Leben und leidet tausend Qualen. Fast wie im echten Leben.
Familienmann, trotz allem
1921, während einer verletzungsbedingten Pause, ehelichte Buster Keaton Nathalie, Norma und Constance Talmadge, deren Mutter Peg sowie Normas Mann, den Produzenten Joe Schenk. Auf dem Papier war er selbstverständlich nur mit Nathalie verheiratet, aber die Familie war unzertrennlich, lebte meist im gleichen Haus und redete überall mit. Auch als Nathalie nach der Geburt des zweiten Sohnes verkündete, sie sei mit ihm fertig und ihm den Zutritt zum Schlafzimmer verweigerte. Buster protestierte, die Familie entschied in Nathalies Sinn. Eine Scheidung kam nicht in Frage, dafür schätzte die Ehefrau das Leben, das ihr Mann ihr bieten konnte, allzu sehr. Anders als ihre beiden Schwestern hatte Nathalie als Schauspielerin keinen Erfolg und verlegte sich darauf, mit Reichtum zu glänzen. Es gab Zeiten, in denen sie jede Woche 900 Dollar für Kleider ausgab, das wären heute immerhin fast 12'000 Dollar. Auch Keaton gab sein Geld mit vollen Händen aus, engagierte einen Butler und hatte mindestens drei Autos. Zudem versuchte er, mit grossen Geschenken die Gunst seiner Frau wiederzugewinnen. Zuerst baute er ohne ihr Wissen ein Haus, für das er auch selber die Möbel entwarf. Nathalie fand es viel zu klein, und der gekränkte Buster verkaufte es auf der Stelle. Erst eine Riesenvilla im italienischen Stil mit unzähligen Zimmern, einer Freitreppe und 1 ½ Hektaren Umschwung konnten sie zufriedenstellen. Aber auch Buster war mächtig stolz darauf und meinte, gemünzt auf seine Filmstürze: «Es brauchte manchen Reinfall, um diese Müllhalde zu bauen». Später erwarb er ein grosses Schiff, das er Nathalie taufte und auf dem er, sturzbetrunken und kaum bei Sinnen, des Ehebruchs überführt wurde. Die betrogene Ehefrau bekam alles und verbot Buster sogar den Kontakt zu den Söhnen. Als James, der ältere der beiden, seinen Führerschein gemacht hatte, packte er als erstes seinen Bruder ins Auto und fuhr mit ihm zum Vater. Der Kontakt sollte nie mehr abbrechen. Buster freute sich über das Technik-Interesse seiner Söhne und später über seine fünf Enkelkinder. Auch mit seinen Geschwistern Louise und Jingles blieb er zeitlebens in engem Kontakt.
Einstürze und Abstürze
Ab 1926 war Keaton mit der aufwändigen Verfilmung von «The General» beschäftigt, der Komödie um eine entführte Lokomotive, die zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs spielt. Der Film enthält die teuerste Sequenz der ganzen Stummfilmepoche: Eine extra gebaute Brücke wird gesprengt, dabei stürzt eine echte Lokomotive in den Fluss. Auch «The General» wurde ein Reinfall, und Joe Schenk, Produzent und Schwager von Keaton, schränkte daraufhin dessen Freiheiten bei den nächsten Filmen ein, bevor er seinen Vertrag definitiv auflöste. 1928 gab Buster Keaton wider besseres Wissen sein eigenes Studio auf und schloss sich Metro-Goldwyn-Mayer an. Von nun an war er nicht mehr Herr im eigenen Haus, die Zeit des lustvollen Experimentierens und Improvisierens war vorbei. Zu viele Leute redeten mit, es herrschten strikte Vorgaben und genaue Studiopläne.
Die Frustration über die neuen Arbeitsbedingungen sowie das Scheitern seiner Ehe beschleunigten Busters Absturz in den Alkoholismus. Wie sein Vater Joe hatte auch er täglich harte Drinks zu sich genommen und war Kettenraucher. Nun versackte er vollends, trank sich ins Delirium und ruinierte damit nicht nur das, was von seiner Filmkarriere übrig war, sondern auch sein gutes Aussehen. Der junge Keaton hatte ein ausgesprochen schönes Gesicht mit feingeschnittenen Zügen, vollen Lippen und ausdrucksvollen Augen. Nach martialischen Entziehungskuren, zwischen denen er seine Betreuerin ehelichte und sich bald wieder scheiden liess, schien sein Gesicht erloschen.
Ein Alter in Würde
Buster Keaton hat sich stets für alles Neue interessiert. So ärgerte er sich in den 1960er-Jahren darüber, dass seine alten Filmkollegen nicht einmal die Beatles kannten. Selbstverständlich begeisterte er sich Ende der 1920er-Jahre für den Tonfilm und hätte gerne damit experimentiert, aber man liess ihn nicht. Seine Raucherstimme passe nicht zu seinem Gesicht und zu seinen Rollen als jugendlicher Liebhaber.
Auch wenn Keatons grosse Zeit nur ein knappes Jahrzehnt gedauert hat, so war er zwischen 1930 bis zu seinem Tod 1966 immer als Schauspieler oder Gag-Schreiber in Film und Fernsehen beschäftigt. 1940 lernte er beim Bridge die dreiundzwanzig Jahre jüngere Tänzerin Eleanor Norris kennen, die ihn unbedingt heiraten wollte. Ein Glücksfall. Die beiden traten zusammen auf, reisten viel und führten ein gastliches Haus. Ihm zuliebe lernte Eleanor sogar Baseball spielen, Busters Lieblingssport seit Kindertagen. Zusammen erlebten sie die Wiederentdeckung seiner Filme; 1960 bekam Keaton einen Ehren-Oscar für seine Verdienste um die Filmkomödie. Seither ist sein Ruhm stetig gewachsen. 2010 schrieb der Filmschaffende und Dozent für Filmgeschichte Fred van der Kooij in seinem Vorwort zur Keaton-Retrospektive im Zürcher Filmpodium: «Heute ist der Name Buster Keaton nicht nur kometenhaft innerhalb der Nomenklatura des Slapsticks aufgestiegen, er gilt bei Kennern mittlerweile zu Recht als einer der bedeutendsten Filmregisseure überhaupt.» Und der dieses Frühjahr verstorbene französische Schauspieler Michel Piccoli schwärmte in einem Radio-Interview: «Buster Keaton ist ein Beispiel für einen grossartigen Schauspieler. Er redet nicht, aber er erzählt uns die Poesie, den Rausch und die Komödie des Lebens auf unnachahmliche Weise.»
Biografien, Aktuelles Happy Birthday Buster!
Vor 125 Jahren wurde der Stummfilm-Star Buster Keaton geboren. Er schuf Filme wie «Steamboat Bill jr.» oder «The General» und prägte das Hollywood-Kino in jenen goldenen Jahren, bevor die Technokraten es übernahmen. Aber eigentlich wäre Keaton gerne Ingenieur geworden.
Buster Keaton wird oft auf sein Stoneface und seine Stunts reduziert. Dabei war er vielseitig begabt und hatte das Glück, seine unterschiedlichen Fähigkeiten auch einsetzen zu können. Er wäre gerne Ingenieur geworden, meinte er einmal, aber niemand habe ihn nach seinen Wünschen gefragt. Kein Wunder. Nachdem er schon als Baby seinen Eltern die Schau gestohlen hatte, weil er unverhofft auf die Varieté-Bühne gekrochen kam, war der Fall klar. Mit drei Jahren wurde er fest ins Programm integriert. Seine Mutter Myra stammte aus einer Schaustellerfamilie und spielte mehrere Instrumente. Ihr verdankte Buster seine geringe Körpergrösse, die Leidenschaft fürs Kartenspiel und eine gewisse Affinität zur Musik. Im Film «The Playhouse» verkörpert er nicht nur alle Personen im Publikum und auf der Bühne, sondern auch sämtliche Musiker im Orchestergraben. Vater Joe Keaton, Tänzer und Akrobat, konnte auch gross gewachsenen Männern den Hut vom Kopf zu kicken. Von ihm hat der am 4. Oktober 1895 in Piqua Kansas geborene Joseph Frank Keaton nicht nur das Talent zur Akrobatik, sondern auch den Hang zum Flunkern. So erzählte er, seinen Spitznamen Buster habe er von keinem geringeren als Harry Houdini erhalten, als er mit eineinhalb Jahren eine Treppe hinuntergepurzelt sei. Houdini habe ihn aufgefangen und gerufen: «What a buster!». Von da an ersetzte der Insider-Ausdruck für einen Bühnensturz Keatons Vornamen und steht heute auch auf seinem Grabstein.
Ein begnadeter Akrobat
Vater Joe machte sich die Purzelfähigkeit seines Sohnes zu Nutze und gebrauchte das kleine Kind als Wischmopp. Er schubste und schleuderte ihn auf der Bühne herum und warf ihn auch mal ins Publikum, wenn einem Zuschauer das Gebotene nicht gefiel. «Man muss wissen, welche Muskeln man anspannen und welche man lockerlassen muss», erklärte Buster Keaton seine Technik, um schwere Stürze unverletzt zu überstehen. Die Darbietungen der Keatons, bei denen jeweils viel Mobiliar zu Bruch ging, riefen regelmässig Kinderschutzorganisationen auf den Plan, obwohl der Kleine nie eine Miene verzog. Auch das unbewegliche Gesicht war eine Idee von Keaton Senior. Das Publikum lachte nämlich lauter, wenn Buster vollkommen ernst dreinblickte. Trotz aller Körperbeherrschung kam es bei den Auftritten immer wieder zu schmerzhaften Zwischenfällen, vor allem, nachdem Vater Keaton von Bier zu Whisky gewechselt hatte. An seiner ersten ernsthaften Verletzung war Klein Buster allerdings selber schuld, resp. seine Neugier für alles Technische. Er steckte seinen Zeigefinger zwischen die Walzen einer Wäschemangel und verlor das vorderste Fingerglied. Als später in einem Film seine Hand in Grossaufnahme zu sehen sein musste, engagierte er zum ersten und einzigen Mal ein Double. Ansonsten machte er alle Stunts selber. Geprobt wurde nie. Buster fand, sobald man Szenen probe, bekämen sie etwas Mechanisches. Der Kameramann erhielt die Anweisung, weiter zu drehen, was auch immer passiert. Darum sind in Buster Keatons Filmen auch seine Unfälle zu sehen. In «Three Ages» zum Beispiel verpasst er das Dach, auf das er springen will, bekommt nur den Rand zu fassen und knallt mit dem Körper gegen die Backsteinfassade. In «Sherlock Jr.» rettet er sich vom Dach eines fahrenden Zuges indem er sich am Wasserkran festhält und dabei den Wasserfall auslöst. Durch dessen Wucht fällt er auf die Gleise und bricht sich einen Nackenwirbel.
Filmtalent und verlässlicher Freund
Mit zweiundzwanzig Jahren ging Buster Keaton nach New York und bekam sofort ein Engagement in einer Musical Comedy am Broadway. Schliesslich konnte er auch singen. Sein Ausscheiden aus dem Familien-Trio bedeutete das Ende der «Three Keatons»; die jüngeren Geschwister Louise und Jingles wurden vom Vater für untalentiert befunden. Einer der Gründe für Busters Weggehen war Joes zunehmender Alkoholkonsum; die harte Behandlung hatte er ihm nie übelgenommen. Zeit seines Lebens hielt er engen Kontakt zu seiner Familie, unterstützte sie, wenn nötig und verschaffte Joe immer wieder Rollen in seinen Filmen.
Seine erste eigene Filmrolle erhielt Keaton kurz nach der Ankunft in New York, als ein Bekannter ihn durch ein Filmstudio in der 48sten Strasse führte. Es wurde ein geradezu schicksalhafter Rundgang, auf dem Buster seinen späteren Produzenten Joe Schenk traf, ein Auge auf seine zukünftige Frau Nathalie Talmadge warf und Roscoe Arbuckle persönlich kennenlernte. Diese Beziehung sollte sich von allen dreien als die engste erweisen. Sie überdauerte die berufliche Trennung, den Medienskandal, der Arbuckle vernichtete und auch seinen frühen Tod. In Keatons Haus hing bis zuletzt ein grosses Portrait seines Freundes, dem er so viel verdankte. Anfang des 20. Jahrhunderts war Roscoe «Fatty» Arbuckle durch zahlreiche Kurzfilme berühmt geworden und führte inzwischen selber Regie. Bei ihrer ersten Begegnung schlug er Buster vor, in «The Butcher Boy» mitzuwirken, und zwar auf der Stelle. Man drehte bis Mitternacht; Keaton wirbelte durch die Kulissen und legte einen Head Spin hin, der jedem Breakdancer zur Ehre gereicht hätte. Am andern Tag kündigte er seinen Job am Broadway, bekam einen Crashkurs in Sachen Film und war bald nicht nur Schauspieler, sondern auch Arbuckles Assistent und Gag-Schreiber. Nur mit Roscoes Meinung, das Publikum habe den Verstand eines Zwölfjährigen, war er nicht einverstanden. Er fand, die Leute hätten Anrecht auf eine ehrlich und anständig erzählte Geschichte. Auch Arbuckles derbe Spässe mit seinem eigenen fetten Hintern, die häufigen Tortenschlachten und das allzu Klamaukige waren nicht nach Keatons Geschmack. Sein Humor war subtiler, die Gags ausgefallener und überraschender, wie er später in seinen eigenen Filmen beweisen konnte. Dennoch war die Zeit mit Roscoe die fröhlichste und verrückteste seines Lebens. Die beiden liefen nicht nur beim Filmen zur Hochform auf, sondern machten auch wichtige Leute der Filmindustrie zu Zielscheiben ihres Humors. So spielte Buster auf einer von Roscoe arrangierten Dinner-Party einen ungeschickten Kellner, der die Gäste brüskierte, aus Versehen auf den Truthahn fiel und damit Gastgeber Arbuckle – scheinbar – zur Weissglut trieb. Unterbrochen wurde die Zusammenarbeit im Jahr 1918 durch Keatons Kriegseinsatz in Frankreich, wo er beinahe erschossen worden wäre. Nicht vom Feind, sondern vom wachhabenden Soldaten, dessen Ruf er nicht gehört hatte, weil er wegen einer Ohrenentzündung nahezu taub war.
Nach dem Krieg kehrte Keaton glücklich in Arbuckles Comique Studio zurück, das inzwischen nach Hollywood verlegt worden war. Kurz darauf wechselte Roscoe zu Famous Players-Lasky, der späteren Paramount, um abendfüllende Spielfilme zu machen. Zu Busters grossen Überraschung bot ihm Joe Schenk daraufhin die Leitung des Studios an. Er sollte vorerst bei Kurzfilmen bleiben und drehte unter anderem den zum Klassiker gewordenen Streifen «One Week». Darin versucht ein Paar in den Flitterwochen, ein Fertighaus zusammenzuzimmern, was natürlich nicht gelingt.
Ein Händchen für Tiere, Kostüme und den ganzen Rest
In Keatons Jugendzeit war die Familie jeden Sommer, wenn die Theater geschlossen waren, zum Lake Michigan gefahren. Dort hatte Vater Joe in einer Künstlerkolonie ein Häuschen gebaut, in dem man die Ferien verbrachte. Hier in der Natur war Buster in seinem Element und träumte davon, später einmal eine Farm zu besitzen. Er war ein begeisterter Sportler und Angler und stolz auf sein Rezept für gegrillten Fisch. Zwischendurch verblüffte er die Leute mit seinen Clownereien, wenn er mit dem Fahrrad schnurstracks in den See fuhr. Zudem lieferte er ein erstes eindrückliches Beispiel seiner Ingenieurskunst und errichtete ein Toiletten-Häuschen, welches auseinanderfiel, sobald ein Unbefugter es benutzte.
Eine Farm hat Buster Keaton nie besessen. Er begnügte sich mit Hunden, meist Bernhardiner, besass auch mal eine eigene Forellenzucht und baute im Garten seines letzten Hauses einen Hühnerstall, der aussah wie ein Schulhaus. Die Hühner benannte er nach Hollywood-Diven. In seinen Filmen spielen jedoch Tiere immer wieder wichtige Rollen. Allen voran das Kapuzineräffchen Josephine, das in «The Cameraman» seinen Besitzer raushaut, indem es die Kamera bedient und während eines Bandenkriegs in Chinatown die aufregendsten Szenen dreht. In «Far West» verliebt sich Buster in eine Kuh namens «Brown Eyes». Um sie an sich zu gewöhnen, hatte Keaton sie überall hin mitgenommen, erst an einem Strick, später nur noch an einem unsichtbaren Bindfaden. Sie folgte ihm bald willig wie ein Schosshündchen. Heute werden für solche Arbeiten spezielle Filmtier-Trainer engagiert, damals machte man das selber. Buster war auch Requisiteur – seine abgeflachten Borsalinos fertigte er stets selbst – aber vor allem war er Gag-Erfinder, Regisseur, Cutter und Hauptdarsteller in Personalunion. Nur Drehbücher schrieb er keine. Er hatte nie eine Schule besucht, aber das war nicht der Grund. Weder er noch Arbuckle brauchten ein Drehbuch. Es genügte, einen guten Anfang und ein gutes Ende zu haben, der Rest war Improvisation. Die meisten Geschichten, vor allem diejenigen der Kurzfilme, sind denn auch nach einem ähnlichen Muster gestrickt: Buster verliebt sich eine unnahbare Schönheit und tut alles, um sie zu erobern. Bis dies gelingt, steckt er manche Schlappe ein, riskiert sein Leben und leidet tausend Qualen. Fast wie im echten Leben.
Familienmann, trotz allem
1921, während einer verletzungsbedingten Pause, ehelichte Buster Keaton Nathalie, Norma und Constance Talmadge, deren Mutter Peg sowie Normas Mann, den Produzenten Joe Schenk. Auf dem Papier war er selbstverständlich nur mit Nathalie verheiratet, aber die Familie war unzertrennlich, lebte meist im gleichen Haus und redete überall mit. Auch als Nathalie nach der Geburt des zweiten Sohnes verkündete, sie sei mit ihm fertig und ihm den Zutritt zum Schlafzimmer verweigerte. Buster protestierte, die Familie entschied in Nathalies Sinn. Eine Scheidung kam nicht in Frage, dafür schätzte die Ehefrau das Leben, das ihr Mann ihr bieten konnte, allzu sehr. Anders als ihre beiden Schwestern hatte Nathalie als Schauspielerin keinen Erfolg und verlegte sich darauf, mit Reichtum zu glänzen. Es gab Zeiten, in denen sie jede Woche 900 Dollar für Kleider ausgab, das wären heute immerhin fast 12'000 Dollar. Auch Keaton gab sein Geld mit vollen Händen aus, engagierte einen Butler und hatte mindestens drei Autos. Zudem versuchte er, mit grossen Geschenken die Gunst seiner Frau wiederzugewinnen. Zuerst baute er ohne ihr Wissen ein Haus, für das er auch selber die Möbel entwarf. Nathalie fand es viel zu klein, und der gekränkte Buster verkaufte es auf der Stelle. Erst eine Riesenvilla im italienischen Stil mit unzähligen Zimmern, einer Freitreppe und 1 ½ Hektaren Umschwung konnten sie zufriedenstellen. Aber auch Buster war mächtig stolz darauf und meinte, gemünzt auf seine Filmstürze: «Es brauchte manchen Reinfall, um diese Müllhalde zu bauen». Später erwarb er ein grosses Schiff, das er Nathalie taufte und auf dem er, sturzbetrunken und kaum bei Sinnen, des Ehebruchs überführt wurde. Die betrogene Ehefrau bekam alles und verbot Buster sogar den Kontakt zu den Söhnen. Als James, der ältere der beiden, seinen Führerschein gemacht hatte, packte er als erstes seinen Bruder ins Auto und fuhr mit ihm zum Vater. Der Kontakt sollte nie mehr abbrechen. Buster freute sich über das Technik-Interesse seiner Söhne und später über seine fünf Enkelkinder. Auch mit seinen Geschwistern Louise und Jingles blieb er zeitlebens in engem Kontakt.
Einstürze und Abstürze
Ab 1926 war Keaton mit der aufwändigen Verfilmung von «The General» beschäftigt, der Komödie um eine entführte Lokomotive, die zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs spielt. Der Film enthält die teuerste Sequenz der ganzen Stummfilmepoche: Eine extra gebaute Brücke wird gesprengt, dabei stürzt eine echte Lokomotive in den Fluss. Auch «The General» wurde ein Reinfall, und Joe Schenk, Produzent und Schwager von Keaton, schränkte daraufhin dessen Freiheiten bei den nächsten Filmen ein, bevor er seinen Vertrag definitiv auflöste. 1928 gab Buster Keaton wider besseres Wissen sein eigenes Studio auf und schloss sich Metro-Goldwyn-Mayer an. Von nun an war er nicht mehr Herr im eigenen Haus, die Zeit des lustvollen Experimentierens und Improvisierens war vorbei. Zu viele Leute redeten mit, es herrschten strikte Vorgaben und genaue Studiopläne.
Die Frustration über die neuen Arbeitsbedingungen sowie das Scheitern seiner Ehe beschleunigten Busters Absturz in den Alkoholismus. Wie sein Vater Joe hatte auch er täglich harte Drinks zu sich genommen und war Kettenraucher. Nun versackte er vollends, trank sich ins Delirium und ruinierte damit nicht nur das, was von seiner Filmkarriere übrig war, sondern auch sein gutes Aussehen. Der junge Keaton hatte ein ausgesprochen schönes Gesicht mit feingeschnittenen Zügen, vollen Lippen und ausdrucksvollen Augen. Nach martialischen Entziehungskuren, zwischen denen er seine Betreuerin ehelichte und sich bald wieder scheiden liess, schien sein Gesicht erloschen.
Ein Alter in Würde
Buster Keaton hat sich stets für alles Neue interessiert. So ärgerte er sich in den 1960er-Jahren darüber, dass seine alten Filmkollegen nicht einmal die Beatles kannten. Selbstverständlich begeisterte er sich Ende der 1920er-Jahre für den Tonfilm und hätte gerne damit experimentiert, aber man liess ihn nicht. Seine Raucherstimme passe nicht zu seinem Gesicht und zu seinen Rollen als jugendlicher Liebhaber.
Auch wenn Keatons grosse Zeit nur ein knappes Jahrzehnt gedauert hat, so war er zwischen 1930 bis zu seinem Tod 1966 immer als Schauspieler oder Gag-Schreiber in Film und Fernsehen beschäftigt. 1940 lernte er beim Bridge die dreiundzwanzig Jahre jüngere Tänzerin Eleanor Norris kennen, die ihn unbedingt heiraten wollte. Ein Glücksfall. Die beiden traten zusammen auf, reisten viel und führten ein gastliches Haus. Ihm zuliebe lernte Eleanor sogar Baseball spielen, Busters Lieblingssport seit Kindertagen. Zusammen erlebten sie die Wiederentdeckung seiner Filme; 1960 bekam Keaton einen Ehren-Oscar für seine Verdienste um die Filmkomödie. Seither ist sein Ruhm stetig gewachsen. 2010 schrieb der Filmschaffende und Dozent für Filmgeschichte Fred van der Kooij in seinem Vorwort zur Keaton-Retrospektive im Zürcher Filmpodium: «Heute ist der Name Buster Keaton nicht nur kometenhaft innerhalb der Nomenklatura des Slapsticks aufgestiegen, er gilt bei Kennern mittlerweile zu Recht als einer der bedeutendsten Filmregisseure überhaupt.» Und der dieses Frühjahr verstorbene französische Schauspieler Michel Piccoli schwärmte in einem Radio-Interview: «Buster Keaton ist ein Beispiel für einen grossartigen Schauspieler. Er redet nicht, aber er erzählt uns die Poesie, den Rausch und die Komödie des Lebens auf unnachahmliche Weise.»