Biografien Pasteur
Zu Besuch beim Erfinder der Pastmilch
Gourmets kaufen unpasteurisierte Butter und durchqueren die halbe Stadt für einen Brie de Meaux oder einen Vacherin Mont d'Or aus Rohmilch. Pasteurisieren ist heute bei manchen verpönt, und Louis Pasteur gerät in Verruf, ein übereifriger Bakterienjäger gewesen zu sein. Das war er auch - zum Glück. Wir verdanken ihm mehr als ein paar pasteurisierte Getränke. Ein Besuch in seinem Haus in Arbois, im französischen Jura, ruft seine Entdeckungen wieder in Erinnerung.
Wir haben Glück, das Haus ist offen. Pasteur ist zwar nicht da, wahrscheinlich macht er seinen täglichen Spaziergang auf der Route de Besançon. Aber weit kann er nicht sein, im Labor warten Kulturen darauf, begutachtet zu werden, im Esszimmer steht der Brotkorb bereit, auf dem Schreibtisch in seinem Schlafzimmer liegt die Lesebrille neben einem Buch mit dem Titel "L'Art d'être Grand-père".
Pasteur ist vor über hundert Jahren gestorben. Die Académie des sciences de Paris liess zu seinem hundertsten Todestag am 28. September 1995 sein Haus in Arbois so renovieren und einrichten, als habe er es eben verlassen. Diese gestellte Momentaufnahme aus dem Alltag des Wissenschaftlers mag an Zeitschriften für das gepflegte Heim erinnern, aber gerade hier, in diesem Privathaus wird deutlich, welche Auswirkungen Pasteurs Endeckungen auf sein eigenes Leben gehabt haben.
Warum Arbois? Pasteur bringt man eher mit Paris in Verbindung, mit dem nach ihm benannten Institut, wo 1983 das AIDS-Virus entdeckt worden ist. Oder mit der Eliteschule "Ecole Normale Supérieure", die er von 1844 bis 49 absolviert hat und wo er ab 1859 Direktor für wissenschaftliche Studien war. Ohne diese Pariser Institutionen wäre Pasteurs Arbeit nicht denkbar, aber Arbois, wo er seine Kindheit verbrachte und wohin er sich im Alter zurückzog, war ihm sehr wichtig.
Geboren wurde Louis Pasteur am 27. Dezember 1822 in Dole. 1830 zog die Familie ins 35 Kilometer entfernte Arbois. Der Vater, Jean-Joseph Pasteur, Oberfeldwebel in der napoleonischen Armee und Gerber von Beruf, kaufte das Haus am Flüsschen Cuisance und richtete im Untergeschoss eine Gerberei ein. 1865 erbte der Sohn die väterliche Wohnung, kaufte nach und nach seiner Schwester den Rest des Hauses ab, liess Räume über dem Fluss anbauen, und erstand schliesslich das Nachbarhaus dazu. Was wir heute besuchen, ist nicht mehr das kleine väterliche Handwerkerhäuschen, sondern ein behagliches, für seine Zeit äusserst modernes Bürgerhaus.
Wir schliessen uns einer Schulklasse an, die durch die Räumlichkeiten geführt wird. Die Kinder sind zwischen 60 und 80 Jahre alt, allesamt Musterschüler. Wir stehen dicht gedrängt im Billardzimmer und betrachten ein Bild, auf dem ein Hirte mit seinem Holzschuh einen tollwütigen Hund erschlägt. Pasteur, erinnert uns die Führerin, hat einen Impfstoff gegen Tollwut gefunden. Er war aber Chemiker, und nicht etwa Arzt, wie manche Leute glauben. "Ah non, non, non!" raunt es durch die Reihen, und fünfundzwanzig zumeist graue Kopfe werden energisch geschüttelt. Man kennt seinen "saint laïque" seinen weltlichen Heiligen, wie Pasteur manchmal genannt wird. Keine Stadt in Frankreich, die nicht eine Strasse nach ihm benannt hat. Sein erfolgreicher Kampf gegen die Tollwut hat wohl am meisten zu diesem Ruhm beigetragen.
Für uns hat die Krankheit jeden Schrecken verloren. Wir begegnen dem Begriff, wenn wir den Hund impfen lassen oder wenn in den Medien von gentechnisch hergestellten Impfstoffen für Füchse die Rede ist. Wer von einem tollwütigen Tier verletzt wird, bekommt nach einigen Tagen Krampfzustände und grossen Durst. Jeder Tropfen Wasser verstärkt die Krämpfe, sodass die Kranken das Wasser zu scheuen beginnen. Im Altertum hiess die Tollwut Hydrophobia - "Angst vor dem Wasser." Und mit Wasser hat man sie zu kurieren versucht, indem man die Betroffenen so lange untertauchte, bis sie zu zucken aufhörten. Auch noch im 19. Jahrhundert wurden Tollwutkranke ertränkt, erstickt oder erschossen, manchmal aus Mitleid, meistens aus Angst vor Ansteckung. Ausgelöst wird die Krankheit durch ein Virus, welches das Nervensystem angreift und ins Gehirn eindringt. Das wusste Pasteur aber noch nicht; die Existenz der Viren ist erst seit 1890 bekannt. Sie sind - im Gegensatz zu den Bakterien - zu klein, als dass sie mit den damaligen Mikroskopen gesehen werden konnten. Aber Pasteur war überzeugt davon, dass Krankheiten nicht, wie damals angenommen, bereits im Körper stecken, sondern dass sie durch Keime verursacht werden. Sein halbes Leben lang hat er daran gearbeitet, diese Theorie zu verbreiten.
Im 19. Jahrhundert glaubten noch viele Wissenschaftler an die Theorie der Urzeugung, die besagt, dass Leben aus toter Materie entsteht. Aale entwikkeln sich aus Flussschlamm, Maden aus verfaulendem Fleisch, und um eine Maus zu "erschaffen" genügt es, schmutzige Wäsche in einen Behälter zu legen und ein Stück Käse oder ein paar Weizenkörner dazuzugeben. Pasteur hingegen war überzeugt, dass Keime immer von aussen zugeführt werden und Mikroorganismen nicht von alleine in der Luft entstehen, sondern wenn genügend Keime vorhanden sind. Dies konnte er schliesslich in einer gross aufgezogenen, effektvollen Demonstration an der Sorbonne beweisen.
Pasteur hat, wie erwähnt, einen Impfstoff gegen die Tollwut gefunden. Das Impfen gegen Krankheiten hat man schon vorher gekannt. Bereits 1716 berichtete Lady Mary Wortley Montagu, die Frau des britischen Botschafters in Konstantinopel, die selber durch Pockennarben entstellt war, ihrer Freundin in einem Brief: "Die Pocken, bei uns so tödlich und so weit verbreitet, verlaufen hier völlig harmlos dank der Erfindung des Einpflanzens. Ein paar alte Frauen führen die Operation jeden Herbst durch." Diese alten Frauen machten im Grunde nichts anderes, als was der Arzt heute noch macht: Sie ritzten die Haut und legten etwas Pockensubstanz in die Wunde. Das Fremdwort für Impfung - Vakzination - kommt vom lateinischen Vacca Kuh, weil der erste Impfstoff aus Kuhpockenviren gewonnen worden war.
Wer sich ein Leben lang über ein Mikroskop gebeugt hat, um Kleinstlebewesen zu beobachten, der sieht sie überall krabbeln. Von Pasteur ist überliefert, dass er ständig Gläser, Teller und Besteck abwischte. "Peinlich genau inspizierte er das Brot, das ihm gereicht wurde", erinnerte sich sein Assistent Adrien Loir, "und legte dann alles, was er darin fand, auf die Tischdecke: kleine Wollstückchen, Reste von Küchenschaben oder Mehlwürmern." Die Familie Pasteur war bestimmt die einzige in Arbois, die über eine Badewanne verfügte. Das Ungetüm aus Metall, innen verzinkt und aussen mit Marmorbemalung, wirkt auf uns nicht besonders einladend, stellte aber damals einen grossen Luxus dar. Im Labor in Paris, so berichtet Loir weiter, habe Pasteur alle Mitarbeiter angewiesen, sich mehrmals am Tag die Hände gründlich mit Seife zu waschen. Er gab nur widerwillig jemandem die Hand. Wenn es sich nicht vermeiden liess, eilte er danach sofort zum Lavabo.
Heute scheint uns das übertrieben, aber zu Pasteurs Zeiten war Hygiene für die meisten noch unbekannt. Auch in den Spitälern. Zwar hat schon 1847 Professor Ignaz Semmelweis am Allgemeinen Krankenhaus in Wien von seinen Studenten verlangt, dass sie sich nach jeder Autopsie die Hände waschen, bevor sie sich den Frauen auf der Entbindungsstation zuwandten. Er hatte nämlich den Verdacht, dass von den Leichen ein "giftiger Stoff" auf die Lebenden übertragen werde. Beweisen konnte er es allerdings noch nicht. Erst Pasteurs Schriften veranlassten die Chirurgen, ihre Instrumente, Wunden und Verbandszeug und vor allem auch ihre Hände zu desinfizieren.
Der Begriff Hygiene stammt aus der Antike, war im Mittelalter in Vergessenheit geraten und wurde Ende 18. Jahrhundert wieder aufgegriffen. Die neue Hygienebewegung kam von England her. Ausgelöst wurde sie durch die miserablen Zustände in den Industriestädten. Als die Reichen ihren Reichtum und ihre eigene Gesundheit durch die geschwächten und kranken Arbeiter bedroht sahen, begannen sie sich für bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen einzusetzen. Mit kranken Arbeitern ist kein Profit zu machen, mit einem kranken Volk kein Staat - und keine tüchtige Armee. Dass luftige, saubere und trockene Wohnungen gesünder sind, dass Körperpflege Krankheiten verhindert, das vermutete man auch ohne die Kenntnisse der Bakteriologie. Auf einer Hygiene-Ausstellung 1884 in London wurden denn auch Bidets, Wasserklosetts, Gesundheitsschuhe und helle Möbel gezeigt. Frankreich bot pasteurisierte Milch an.
Heute können wir uns kaum mehr vorstellen, welchen Schock die Entdeckung der Mikroben auslöste. Plötzlich wurde den Menschen bewusst: Ob wir arbeiten oder schlafen, essen oder küssen - wir sind nie allein. Immer sind da noch Millionen von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen mit dabei.
Diese Winzlinge haben es auch auf unsere Lebensmittel abgesehen. 1857 entdeckte Pasteur, dass spezielle Mikroorganismen den Gärungsprozess zum Beispiel bei der Milch oder beim Alkohol auslösen und dass andere Organismen wiederum die Gärung beeinträchtigen können.
1862 wurde Pasteur von Napoleon III gebeten, sich mit den Problemen bei der Weinherstellung zu befassen. Für diese Studien zog er sich in die Rebhügel des Juras zurück. Er fand heraus, dass sich in schlecht gereinigten Geräten Keime einnisten und schlug vor, die Flüssigkeit in einem luftdichten Behälter während einiger Minuten auf eine Temperatur zwischen 50 und 60° zu erhitzen. Diese Prozedur - seither Pasteurisieren genannt - tötet die Keime ohne die Gärung zu verhindern.
Die Probleme rund um den Wein haben Pasteur auch später immer wieder beschäftigt. 1879 liess er in seinem Haus in Arbois ein, wie er selber sagte, bescheidenes Labor samt Brutschrank einrichten. Die heutigen Besucher werden diesen hellen, nüchternen Arbeitsraum mit den einfachen Holztischen und Regalen als luftig und angenehm empfinden, während die Wohnräume mit ihren dunkeln Tapeten und den vielen Möbeln überladen und etwas muffig wirken.
Heute wird der Wein kaum mehr pasteurisiert, höchstens der Sauser. Aber für Getränke wie Bier und Fruchtsäfte und vor allem bei der Milch wird diese Konservierungsmethode nach wie vor angewendet. Der Kantonschemiker warnt denn auch vor dem Genuss von unpasteurisierten Milchprodukten und betont, dass er die "Mode" der Weichkäse aus Rohmilch mit Besorgnis beobachte. Zahlreiche Krankheiten sollen im Käse lauern. Natürlich muss man sich an gewisse Regeln halten; wer käme schon auf die Idee, einem kleinen Kind, einem alten Menschen mit überempfindlichem Magen oder einem Kranken einen fliessenden Vacherin zu servieren oder dessen sandige Rinde zu verspeisen. Wer über gesunden Menschenverstand und einen Kühlschrank verfügt, kann sich ohne grosses Risiko diesen rohen Genüssen hingeben - trotz Pasteur. Denn inzwischen kennen wir nicht nur die Krankheitserreger, sondern auch ihre natürlichen Gegenspieler. Ökologie der Mikroorganismen statt totale Keimfreiheit. Seit allerdings vor einigen Jahren bekannt wurde, dass die Antibiotika, die den Tieren verabreicht werden, beim Menschen Antibiotika-Resistenzen hervorrufen können, ist Pasteurisieren wieder oberstes Gebot. Manche Rohmilchliebhaber greifen jetzt vermehrt zu Bioprodukten - aber das ist wieder ein anderes Kapitel.
Biografien Pasteur
Zu Besuch beim Erfinder der Pastmilch
Gourmets kaufen unpasteurisierte Butter und durchqueren die halbe Stadt für einen Brie de Meaux oder einen Vacherin Mont d'Or aus Rohmilch. Pasteurisieren ist heute bei manchen verpönt, und Louis Pasteur gerät in Verruf, ein übereifriger Bakterienjäger gewesen zu sein. Das war er auch - zum Glück. Wir verdanken ihm mehr als ein paar pasteurisierte Getränke. Ein Besuch in seinem Haus in Arbois, im französischen Jura, ruft seine Entdeckungen wieder in Erinnerung.
Wir haben Glück, das Haus ist offen. Pasteur ist zwar nicht da, wahrscheinlich macht er seinen täglichen Spaziergang auf der Route de Besançon. Aber weit kann er nicht sein, im Labor warten Kulturen darauf, begutachtet zu werden, im Esszimmer steht der Brotkorb bereit, auf dem Schreibtisch in seinem Schlafzimmer liegt die Lesebrille neben einem Buch mit dem Titel "L'Art d'être Grand-père".
Pasteur ist vor über hundert Jahren gestorben. Die Académie des sciences de Paris liess zu seinem hundertsten Todestag am 28. September 1995 sein Haus in Arbois so renovieren und einrichten, als habe er es eben verlassen. Diese gestellte Momentaufnahme aus dem Alltag des Wissenschaftlers mag an Zeitschriften für das gepflegte Heim erinnern, aber gerade hier, in diesem Privathaus wird deutlich, welche Auswirkungen Pasteurs Endeckungen auf sein eigenes Leben gehabt haben.
Warum Arbois? Pasteur bringt man eher mit Paris in Verbindung, mit dem nach ihm benannten Institut, wo 1983 das AIDS-Virus entdeckt worden ist. Oder mit der Eliteschule "Ecole Normale Supérieure", die er von 1844 bis 49 absolviert hat und wo er ab 1859 Direktor für wissenschaftliche Studien war. Ohne diese Pariser Institutionen wäre Pasteurs Arbeit nicht denkbar, aber Arbois, wo er seine Kindheit verbrachte und wohin er sich im Alter zurückzog, war ihm sehr wichtig.
Geboren wurde Louis Pasteur am 27. Dezember 1822 in Dole. 1830 zog die Familie ins 35 Kilometer entfernte Arbois. Der Vater, Jean-Joseph Pasteur, Oberfeldwebel in der napoleonischen Armee und Gerber von Beruf, kaufte das Haus am Flüsschen Cuisance und richtete im Untergeschoss eine Gerberei ein. 1865 erbte der Sohn die väterliche Wohnung, kaufte nach und nach seiner Schwester den Rest des Hauses ab, liess Räume über dem Fluss anbauen, und erstand schliesslich das Nachbarhaus dazu. Was wir heute besuchen, ist nicht mehr das kleine väterliche Handwerkerhäuschen, sondern ein behagliches, für seine Zeit äusserst modernes Bürgerhaus.
Wir schliessen uns einer Schulklasse an, die durch die Räumlichkeiten geführt wird. Die Kinder sind zwischen 60 und 80 Jahre alt, allesamt Musterschüler. Wir stehen dicht gedrängt im Billardzimmer und betrachten ein Bild, auf dem ein Hirte mit seinem Holzschuh einen tollwütigen Hund erschlägt. Pasteur, erinnert uns die Führerin, hat einen Impfstoff gegen Tollwut gefunden. Er war aber Chemiker, und nicht etwa Arzt, wie manche Leute glauben. "Ah non, non, non!" raunt es durch die Reihen, und fünfundzwanzig zumeist graue Kopfe werden energisch geschüttelt. Man kennt seinen "saint laïque" seinen weltlichen Heiligen, wie Pasteur manchmal genannt wird. Keine Stadt in Frankreich, die nicht eine Strasse nach ihm benannt hat. Sein erfolgreicher Kampf gegen die Tollwut hat wohl am meisten zu diesem Ruhm beigetragen.
Für uns hat die Krankheit jeden Schrecken verloren. Wir begegnen dem Begriff, wenn wir den Hund impfen lassen oder wenn in den Medien von gentechnisch hergestellten Impfstoffen für Füchse die Rede ist. Wer von einem tollwütigen Tier verletzt wird, bekommt nach einigen Tagen Krampfzustände und grossen Durst. Jeder Tropfen Wasser verstärkt die Krämpfe, sodass die Kranken das Wasser zu scheuen beginnen. Im Altertum hiess die Tollwut Hydrophobia - "Angst vor dem Wasser." Und mit Wasser hat man sie zu kurieren versucht, indem man die Betroffenen so lange untertauchte, bis sie zu zucken aufhörten. Auch noch im 19. Jahrhundert wurden Tollwutkranke ertränkt, erstickt oder erschossen, manchmal aus Mitleid, meistens aus Angst vor Ansteckung. Ausgelöst wird die Krankheit durch ein Virus, welches das Nervensystem angreift und ins Gehirn eindringt. Das wusste Pasteur aber noch nicht; die Existenz der Viren ist erst seit 1890 bekannt. Sie sind - im Gegensatz zu den Bakterien - zu klein, als dass sie mit den damaligen Mikroskopen gesehen werden konnten. Aber Pasteur war überzeugt davon, dass Krankheiten nicht, wie damals angenommen, bereits im Körper stecken, sondern dass sie durch Keime verursacht werden. Sein halbes Leben lang hat er daran gearbeitet, diese Theorie zu verbreiten.
Im 19. Jahrhundert glaubten noch viele Wissenschaftler an die Theorie der Urzeugung, die besagt, dass Leben aus toter Materie entsteht. Aale entwikkeln sich aus Flussschlamm, Maden aus verfaulendem Fleisch, und um eine Maus zu "erschaffen" genügt es, schmutzige Wäsche in einen Behälter zu legen und ein Stück Käse oder ein paar Weizenkörner dazuzugeben. Pasteur hingegen war überzeugt, dass Keime immer von aussen zugeführt werden und Mikroorganismen nicht von alleine in der Luft entstehen, sondern wenn genügend Keime vorhanden sind. Dies konnte er schliesslich in einer gross aufgezogenen, effektvollen Demonstration an der Sorbonne beweisen.
Pasteur hat, wie erwähnt, einen Impfstoff gegen die Tollwut gefunden. Das Impfen gegen Krankheiten hat man schon vorher gekannt. Bereits 1716 berichtete Lady Mary Wortley Montagu, die Frau des britischen Botschafters in Konstantinopel, die selber durch Pockennarben entstellt war, ihrer Freundin in einem Brief: "Die Pocken, bei uns so tödlich und so weit verbreitet, verlaufen hier völlig harmlos dank der Erfindung des Einpflanzens. Ein paar alte Frauen führen die Operation jeden Herbst durch." Diese alten Frauen machten im Grunde nichts anderes, als was der Arzt heute noch macht: Sie ritzten die Haut und legten etwas Pockensubstanz in die Wunde. Das Fremdwort für Impfung - Vakzination - kommt vom lateinischen Vacca Kuh, weil der erste Impfstoff aus Kuhpockenviren gewonnen worden war.
Wer sich ein Leben lang über ein Mikroskop gebeugt hat, um Kleinstlebewesen zu beobachten, der sieht sie überall krabbeln. Von Pasteur ist überliefert, dass er ständig Gläser, Teller und Besteck abwischte. "Peinlich genau inspizierte er das Brot, das ihm gereicht wurde", erinnerte sich sein Assistent Adrien Loir, "und legte dann alles, was er darin fand, auf die Tischdecke: kleine Wollstückchen, Reste von Küchenschaben oder Mehlwürmern." Die Familie Pasteur war bestimmt die einzige in Arbois, die über eine Badewanne verfügte. Das Ungetüm aus Metall, innen verzinkt und aussen mit Marmorbemalung, wirkt auf uns nicht besonders einladend, stellte aber damals einen grossen Luxus dar. Im Labor in Paris, so berichtet Loir weiter, habe Pasteur alle Mitarbeiter angewiesen, sich mehrmals am Tag die Hände gründlich mit Seife zu waschen. Er gab nur widerwillig jemandem die Hand. Wenn es sich nicht vermeiden liess, eilte er danach sofort zum Lavabo.
Heute scheint uns das übertrieben, aber zu Pasteurs Zeiten war Hygiene für die meisten noch unbekannt. Auch in den Spitälern. Zwar hat schon 1847 Professor Ignaz Semmelweis am Allgemeinen Krankenhaus in Wien von seinen Studenten verlangt, dass sie sich nach jeder Autopsie die Hände waschen, bevor sie sich den Frauen auf der Entbindungsstation zuwandten. Er hatte nämlich den Verdacht, dass von den Leichen ein "giftiger Stoff" auf die Lebenden übertragen werde. Beweisen konnte er es allerdings noch nicht. Erst Pasteurs Schriften veranlassten die Chirurgen, ihre Instrumente, Wunden und Verbandszeug und vor allem auch ihre Hände zu desinfizieren.
Der Begriff Hygiene stammt aus der Antike, war im Mittelalter in Vergessenheit geraten und wurde Ende 18. Jahrhundert wieder aufgegriffen. Die neue Hygienebewegung kam von England her. Ausgelöst wurde sie durch die miserablen Zustände in den Industriestädten. Als die Reichen ihren Reichtum und ihre eigene Gesundheit durch die geschwächten und kranken Arbeiter bedroht sahen, begannen sie sich für bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen einzusetzen. Mit kranken Arbeitern ist kein Profit zu machen, mit einem kranken Volk kein Staat - und keine tüchtige Armee. Dass luftige, saubere und trockene Wohnungen gesünder sind, dass Körperpflege Krankheiten verhindert, das vermutete man auch ohne die Kenntnisse der Bakteriologie. Auf einer Hygiene-Ausstellung 1884 in London wurden denn auch Bidets, Wasserklosetts, Gesundheitsschuhe und helle Möbel gezeigt. Frankreich bot pasteurisierte Milch an.
Heute können wir uns kaum mehr vorstellen, welchen Schock die Entdeckung der Mikroben auslöste. Plötzlich wurde den Menschen bewusst: Ob wir arbeiten oder schlafen, essen oder küssen - wir sind nie allein. Immer sind da noch Millionen von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen mit dabei.
Diese Winzlinge haben es auch auf unsere Lebensmittel abgesehen. 1857 entdeckte Pasteur, dass spezielle Mikroorganismen den Gärungsprozess zum Beispiel bei der Milch oder beim Alkohol auslösen und dass andere Organismen wiederum die Gärung beeinträchtigen können.
1862 wurde Pasteur von Napoleon III gebeten, sich mit den Problemen bei der Weinherstellung zu befassen. Für diese Studien zog er sich in die Rebhügel des Juras zurück. Er fand heraus, dass sich in schlecht gereinigten Geräten Keime einnisten und schlug vor, die Flüssigkeit in einem luftdichten Behälter während einiger Minuten auf eine Temperatur zwischen 50 und 60° zu erhitzen. Diese Prozedur - seither Pasteurisieren genannt - tötet die Keime ohne die Gärung zu verhindern.
Die Probleme rund um den Wein haben Pasteur auch später immer wieder beschäftigt. 1879 liess er in seinem Haus in Arbois ein, wie er selber sagte, bescheidenes Labor samt Brutschrank einrichten. Die heutigen Besucher werden diesen hellen, nüchternen Arbeitsraum mit den einfachen Holztischen und Regalen als luftig und angenehm empfinden, während die Wohnräume mit ihren dunkeln Tapeten und den vielen Möbeln überladen und etwas muffig wirken.
Heute wird der Wein kaum mehr pasteurisiert, höchstens der Sauser. Aber für Getränke wie Bier und Fruchtsäfte und vor allem bei der Milch wird diese Konservierungsmethode nach wie vor angewendet. Der Kantonschemiker warnt denn auch vor dem Genuss von unpasteurisierten Milchprodukten und betont, dass er die "Mode" der Weichkäse aus Rohmilch mit Besorgnis beobachte. Zahlreiche Krankheiten sollen im Käse lauern. Natürlich muss man sich an gewisse Regeln halten; wer käme schon auf die Idee, einem kleinen Kind, einem alten Menschen mit überempfindlichem Magen oder einem Kranken einen fliessenden Vacherin zu servieren oder dessen sandige Rinde zu verspeisen. Wer über gesunden Menschenverstand und einen Kühlschrank verfügt, kann sich ohne grosses Risiko diesen rohen Genüssen hingeben - trotz Pasteur. Denn inzwischen kennen wir nicht nur die Krankheitserreger, sondern auch ihre natürlichen Gegenspieler. Ökologie der Mikroorganismen statt totale Keimfreiheit. Seit allerdings vor einigen Jahren bekannt wurde, dass die Antibiotika, die den Tieren verabreicht werden, beim Menschen Antibiotika-Resistenzen hervorrufen können, ist Pasteurisieren wieder oberstes Gebot. Manche Rohmilchliebhaber greifen jetzt vermehrt zu Bioprodukten - aber das ist wieder ein anderes Kapitel.