Zufalls-Lektüre

30. Dezember 2022

Ich staune immer wieder, wie und wo ich die Bücher entdecke, die später auf meinem Nachttisch landen.

Teufel im T-Shirt

Der Historiker Michel Pastoureau erzählte auf France Culture, wie er Jean-Jacques Annaud bei dessen Verfilmung von Umberto Ecos «Der Name der Rose» beraten hatte. Wie wurden die mittelalterlichen Gewänder getragen, welche Stoffe, Schnitte und Farben hatten sie? Farben und ihre Bedeutung sind eines der Lieblingsthemen des Mediävisten Pastoureau; fast zu jeder hat er ein separates Buch geschrieben, wie ich dem Katalog der Zentralbibliothek entnahm. Und während ich noch überlegte, ob ich zuerst «Gelb» oder «Blau» ausleihen sollte, stiess ich auf ein Werk über Streifenmuster.

Gestreifte Hemden und T-Shirts sind so alltäglich, dass sie nicht mehr auffallen. Kaum vorstellbar, dass Streifen einmal untragbar waren, weil sie – so der Verdacht - mit dem Teufel im Bunde stehen. Verantwortlich für den schlechten Ruf war eine Bibelstelle, die so lange uminterpretiert wurde, bis Streifen zum Sinnbild des Bösen verkamen. In der Folge wurden Teufel und Ungeheuer mit gestreiften Körpern dargestellt.

Die Signalwirkung von Streifen ist offensichtlich; nicht umsonst warnen Bauschranken und Barrieren damit. Früher trug auch das sogenannt randständige Volk wie Gaukler, Prostituierte, Gefangene oder der Henker gestreifte Kleider. Dennoch haben es die Streifen im Laufe der Jahrhunderte geschafft, sich zu rehabilitieren. Heute besiedeln sie glücklicherweise alle Bereiche unseres Alltags, und das ganz ohne Hintergedanken.

Die französische Originalausgabe des Buches «Des Teufels Tuch» erschien 1991. Die reich illustrierte deutsche Ausgabe ist wohl nur noch antiquarisch zu haben.

Michel Pastoureau: «Des Teufels Tuch, Eine Kulturgeschichte der Streifen und der gestreiften Stoffe», Campus Verlag 1995

 

«Auf der Flucht erschossen»

Auf dem Programm des Völkerkundemuseums prangen drei geometrisch gemusterte Gebilde mit Hörnern. Die Legende verrät, dass es sich um Milchdeckel handelt, geflochten in Ostafrika vor mehr als hundert Jahren. Sie sind Teil der «Sammlung Hans Paasche», welche das Ehepaar Hans und Ellen Paasche 1910 von seiner Hochzeitsreise an die Quelle des Weissen Nils zurückgebrachte. Auf dem Verlobungsfoto wirken beide eher brav, sie im hochgeschlossenen Kleid, er in der Uniform eines Kapitänleutnants. Sein verträumter Blick lässt kaum erahnen, wie sehr Hans Paasche schon damals quer zu fast allem stand, was in Deutschland das Denken und Handeln bestimmte.

Ellen und Hans Paasche als Verlobte, 1907/1908.Foto: Archiv P. Werner Lange
Ellen und Hans Paasche als Verlobte, 1907/1908.
Foto: Archiv P. Werner Lange

Die Lebensdaten der Paasches überraschten mich: Ellen wurde nur neunundzwanzig Jahre alt, Hans keine vierzig. Nach einem Vortrag von Werner Lange erstand ich das Buch «Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland». Es ist die Biografie eines Mannes, der in seinem kurzen Leben viele überraschte und alle überforderte. Ein Mensch voller Widersprüche: Marineoffizier und Pazifist, Naturschützer und Grosswildjäger, ein Komödiant und Satiriker, der mit grossem Ernst gegen Kolonialismus und Militarismus kämpfte und sich zeitlebens für den Frieden engagierte, zuweilen mit bissigen Aussagen wie: «Alle Deutschen warten nur auf die Erlaubnis, eine neue Lüge glauben zu dürfen ...» Das machte ihn in den Augen seiner Landsleute, aber auch für seine eigenen Eltern, zum Verräter und Nestbeschmutzer und sogar zum Geisteskranken.

Werner Lange schildert in seinem Buch präzise, welche Wandlungen Hans Paasche durchmachte, wie der Offizier, der in der Kolonie Deutsch-Ostafrika einen Aufstand von Einheimischen niederschlug, zum Kämpfer für den Frieden wurde und die Kultur der afrikanischen Völker entdeckte. Mit Büchern, unzähligen Vorträgen und mit Pamphleten versuchte Paasche, die Menschen zu überzeugen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich, wohl aus Pflichtgefühl, zum Dienst, wurde aber 1916 entlassen, weil er sich weigerte, bei einem Standgericht mitzurichten. Er stand unter der Beobachtung der Behörden und wurde verdächtigt, ein Kommunist und Umstürzler zu sein. 1920 wurde Hans Paasche auf seinem Gut «Waldfrieden» vor den Augen eines seiner Kinder von Angehörigen der Reichswehr erschossen. Das Verbrechen wurde nie gesühnt. Kurt Tucholsky würdigte Paasche mit einem Gedicht in der «Weltbühne». Es beginnt mit den Worten «Wieder einer, …»

Der Mord machte die vier Paasche-Kinder zu Vollwaisen; Ellen Paasche war schon 1918 gestorben, an der Spanischen Grippe, wie es in manchen Quellen heisst. Gerne würde man mehr über die Frau erfahren, die die Überzeugungen ihres Mannes teilte, an den herrschenden Verhältnissen aber zunehmend verzweifelte.

Werner Lange: «Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland» Eine Biografie. Mit einem Geleitwort von Helga Paasche, Donat Verlag 1995

Die Ausstellung «Hochzeitsreise? 5 Fragen an die ‘Sammlung Hans Paasche’ aus Ostafrika» ist bis 21. Januar 2024 im Völkerkundemuseum der Universität Zürich zu sehen.

Aktuelles Zufalls-Lektüre

30. Dezember 2022

Ich staune immer wieder, wie und wo ich die Bücher entdecke, die später auf meinem Nachttisch landen.

Teufel im T-Shirt

Der Historiker Michel Pastoureau erzählte auf France Culture, wie er Jean-Jacques Annaud bei dessen Verfilmung von Umberto Ecos «Der Name der Rose» beraten hatte. Wie wurden die mittelalterlichen Gewänder getragen, welche Stoffe, Schnitte und Farben hatten sie? Farben und ihre Bedeutung sind eines der Lieblingsthemen des Mediävisten Pastoureau; fast zu jeder hat er ein separates Buch geschrieben, wie ich dem Katalog der Zentralbibliothek entnahm. Und während ich noch überlegte, ob ich zuerst «Gelb» oder «Blau» ausleihen sollte, stiess ich auf ein Werk über Streifenmuster.

Gestreifte Hemden und T-Shirts sind so alltäglich, dass sie nicht mehr auffallen. Kaum vorstellbar, dass Streifen einmal untragbar waren, weil sie – so der Verdacht - mit dem Teufel im Bunde stehen. Verantwortlich für den schlechten Ruf war eine Bibelstelle, die so lange uminterpretiert wurde, bis Streifen zum Sinnbild des Bösen verkamen. In der Folge wurden Teufel und Ungeheuer mit gestreiften Körpern dargestellt.

Die Signalwirkung von Streifen ist offensichtlich; nicht umsonst warnen Bauschranken und Barrieren damit. Früher trug auch das sogenannt randständige Volk wie Gaukler, Prostituierte, Gefangene oder der Henker gestreifte Kleider. Dennoch haben es die Streifen im Laufe der Jahrhunderte geschafft, sich zu rehabilitieren. Heute besiedeln sie glücklicherweise alle Bereiche unseres Alltags, und das ganz ohne Hintergedanken.

Die französische Originalausgabe des Buches «Des Teufels Tuch» erschien 1991. Die reich illustrierte deutsche Ausgabe ist wohl nur noch antiquarisch zu haben.

Michel Pastoureau: «Des Teufels Tuch, Eine Kulturgeschichte der Streifen und der gestreiften Stoffe», Campus Verlag 1995

 

«Auf der Flucht erschossen»

Auf dem Programm des Völkerkundemuseums prangen drei geometrisch gemusterte Gebilde mit Hörnern. Die Legende verrät, dass es sich um Milchdeckel handelt, geflochten in Ostafrika vor mehr als hundert Jahren. Sie sind Teil der «Sammlung Hans Paasche», welche das Ehepaar Hans und Ellen Paasche 1910 von seiner Hochzeitsreise an die Quelle des Weissen Nils zurückgebrachte. Auf dem Verlobungsfoto wirken beide eher brav, sie im hochgeschlossenen Kleid, er in der Uniform eines Kapitänleutnants. Sein verträumter Blick lässt kaum erahnen, wie sehr Hans Paasche schon damals quer zu fast allem stand, was in Deutschland das Denken und Handeln bestimmte.

Ellen und Hans Paasche als Verlobte, 1907/1908.Foto: Archiv P. Werner Lange
Ellen und Hans Paasche als Verlobte, 1907/1908.
Foto: Archiv P. Werner Lange

Die Lebensdaten der Paasches überraschten mich: Ellen wurde nur neunundzwanzig Jahre alt, Hans keine vierzig. Nach einem Vortrag von Werner Lange erstand ich das Buch «Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland». Es ist die Biografie eines Mannes, der in seinem kurzen Leben viele überraschte und alle überforderte. Ein Mensch voller Widersprüche: Marineoffizier und Pazifist, Naturschützer und Grosswildjäger, ein Komödiant und Satiriker, der mit grossem Ernst gegen Kolonialismus und Militarismus kämpfte und sich zeitlebens für den Frieden engagierte, zuweilen mit bissigen Aussagen wie: «Alle Deutschen warten nur auf die Erlaubnis, eine neue Lüge glauben zu dürfen ...» Das machte ihn in den Augen seiner Landsleute, aber auch für seine eigenen Eltern, zum Verräter und Nestbeschmutzer und sogar zum Geisteskranken.

Werner Lange schildert in seinem Buch präzise, welche Wandlungen Hans Paasche durchmachte, wie der Offizier, der in der Kolonie Deutsch-Ostafrika einen Aufstand von Einheimischen niederschlug, zum Kämpfer für den Frieden wurde und die Kultur der afrikanischen Völker entdeckte. Mit Büchern, unzähligen Vorträgen und mit Pamphleten versuchte Paasche, die Menschen zu überzeugen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich, wohl aus Pflichtgefühl, zum Dienst, wurde aber 1916 entlassen, weil er sich weigerte, bei einem Standgericht mitzurichten. Er stand unter der Beobachtung der Behörden und wurde verdächtigt, ein Kommunist und Umstürzler zu sein. 1920 wurde Hans Paasche auf seinem Gut «Waldfrieden» vor den Augen eines seiner Kinder von Angehörigen der Reichswehr erschossen. Das Verbrechen wurde nie gesühnt. Kurt Tucholsky würdigte Paasche mit einem Gedicht in der «Weltbühne». Es beginnt mit den Worten «Wieder einer, …»

Der Mord machte die vier Paasche-Kinder zu Vollwaisen; Ellen Paasche war schon 1918 gestorben, an der Spanischen Grippe, wie es in manchen Quellen heisst. Gerne würde man mehr über die Frau erfahren, die die Überzeugungen ihres Mannes teilte, an den herrschenden Verhältnissen aber zunehmend verzweifelte.

Werner Lange: «Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland» Eine Biografie. Mit einem Geleitwort von Helga Paasche, Donat Verlag 1995

Die Ausstellung «Hochzeitsreise? 5 Fragen an die ‘Sammlung Hans Paasche’ aus Ostafrika» ist bis 21. Januar 2024 im Völkerkundemuseum der Universität Zürich zu sehen.