Natur | Umwelt Dendrochronologie

Er entlockt dem Holz seine persönliche Geschichte

Der Dendrochronologe untersucht die Fingerabdrücke, die das Klima im Wald hinterlässt.

Wer unter dem Christbaum einen Rembrandt findet, kann bei Felix Walder abklären lassen, ob er echt ist - vorausgesetzt, er ist auf Holz gemalt. Dann geben die Jahrringe auf der Rückseite Aufschluss darüber, wann dieser Baum in welchem Wald gestanden hat. Mit Wahrsagerei hat das nichts zu tun, aber viel mit Präzision und Erfahrung.

„Wenn ich sage, ich bin Dendrochronologe, verstehen die Leute meistens Zahnarzt“, sagt Felix Walder lachend. Aber ‚Dendro’ kommt nicht von Dental, sondern vom griechischen Dendron für Baum, chronos heisst Zeit. Dendrochronologie ist die Lehre von der Jahrringdatierung. Im Vordergrund steht nicht das Alter des Baumes, sondern die Frage, wann und wo er gewachsen ist. So lässt sich ein Gebäude, ein Bild, ein Instrument oder ein Möbelstück datieren.

Vergleichen der ‚Fingerabdrücke’

Dass man durch Zählen der Jahrringe das Alter eines Baumes ermitteln kann, lernt jedes Schulkind auf dem Waldspaziergang. In der Dendrochronologie werden die Jahrringe nicht nur gezählt, sondern auf Hundertstel Millimeter genau vermessen. „Bevor ich ein Holzstück unter das Mikroskop lege, muss ich es mit einer Rasierklinge so zurechtschneiden, dass jeder Ring klar ersichtlich ist“, erklärt Felix Walder. „Dann beginne ich im Mark des Stammes und arbeite mich bis zur so genannten Waldkante vor. Das ist der letzte Ring, den der Baum gebildet hat, bevor er geschlagen wurde.“ Je nach Klima und sonstigen Lebensbedingungen sehen diese Ringe jedes Jahr anders aus. Die Messdaten werden im Computer gespeichert und als eine Art Bergpanorama sichtbar gemacht: Je breiter der Ring, desto höher der Gipfel - je schmaler der Jahrring, desto tiefer das Tal. Für sich allein sagt diese Aufzeichnung wenig aus. Sie muss mit der Daten-Sammlung verglichen werden, die das Labor im Lauf der Jahrzehnte aufgebaut hat und die zum Beispiel bei Eiche bis ins neunte Jahrtausend vor Christus zurückreicht. Findet sich eine Üebereinstimmung, lässt sich das Objekt datieren. So wie die Fingerabdrücke vom Tatort mit den Abdrücken in der Verbrecherdatei verglichen werden, um einem Täter auf die Spur zu kommen.

Zürich hatte die Nase vorn

Das Labor für Dendrochronologie gehört zur Archäologie und Denkmalpflege des Amts für Städtebau, welches wiederum dem Hochbaudepartement untersteht. Heute ist es in einer ehemaligen Fabrik beim Tiefenbrunnen untergebracht. Felix Walder führt durch die Loft-ähnlichen Räume und meint: „Hier haben wir viel Platz für unsere Proben.“ In den Regalen stapeln sich die Holzstücke, die helfen, die Zürcher Baugeschichte zu rekonstruieren. In Wasserbehältern lagern Reste von Pfahlbauten oder Brückenpfeilern, die nicht austrocknen. dürfen. „Unser Labor war das erste in der Schweiz“, erzählt Felix Walder. „ Es wurde 1969 vom damaligen Stadtarchäologen Ulrich Ruoff gegründet.“ Er begann mit dem Erstellen der Schweizer Standard-Chronologien für die hauptsächlich verwendeten Baumarten wie Eiche, Fichte und Weisstanne. Dabei konnte er sich auf Unterlagen von deutschen Kollegen stützen. „Der Austausch mit andern Labors im In- und Ausland ist recht gross“, sagt Felix Walder. „Einmal musste ich für das Museum Bellerive Lauten und Violen aus dem 16. Jahrhundert untersuchen. Da war ich froh um die Hilfe eines deutschen Kollegen, der sich ausschliesslich mit Musikinstrumenten befasst.“ Und, waren sie echt? „Einige waren hundert Jahre älter als angenommen!“ Selbstverständlich werden Kunstwerke und Antiquitäten vor der Vermessung nicht mit der Rasierklinge bearbeitet; ihre Jahrringe sind meistens deutlich sichtbar.

Archäologie, Biologie, Geologie, Geografie – viele Wissenschaftsbereiche profitieren von der Dendrochronologie. Einen eigentlichen Studiengang gibt es nicht, an gewissen Instituten werden bestenfalls Kurse angeboten. Auch darum sind Kontakte und Kongresse so wichtig. Und wie ist Felix Walder zu seinem Beruf gekommen? „Ich habe an der ETH Forstwirtschaft  studiert, brach das Studium aber ab und jobbte mal als Schreiner, mal im Wald sowie bei Ausgrabungen von Pfahlbausiedlungen. So kam ich 1991 in dieses Labor und bin seither am Lernen und Erfahrungen sammeln.“ Einerseits werden die Vermessungstechniken laufend verfeinert, andererseits bergen die Bäume noch unendlich viele Geheimnisse.“ Jeder Baum ist ein Individuum, und eigentlich weiss man bis heute nicht genau, was ein Jahrring überhaupt ist.“

Natur | Umwelt Dendrochronologie

Er entlockt dem Holz seine persönliche Geschichte

Der Dendrochronologe untersucht die Fingerabdrücke, die das Klima im Wald hinterlässt.

Wer unter dem Christbaum einen Rembrandt findet, kann bei Felix Walder abklären lassen, ob er echt ist - vorausgesetzt, er ist auf Holz gemalt. Dann geben die Jahrringe auf der Rückseite Aufschluss darüber, wann dieser Baum in welchem Wald gestanden hat. Mit Wahrsagerei hat das nichts zu tun, aber viel mit Präzision und Erfahrung.

„Wenn ich sage, ich bin Dendrochronologe, verstehen die Leute meistens Zahnarzt“, sagt Felix Walder lachend. Aber ‚Dendro’ kommt nicht von Dental, sondern vom griechischen Dendron für Baum, chronos heisst Zeit. Dendrochronologie ist die Lehre von der Jahrringdatierung. Im Vordergrund steht nicht das Alter des Baumes, sondern die Frage, wann und wo er gewachsen ist. So lässt sich ein Gebäude, ein Bild, ein Instrument oder ein Möbelstück datieren.

Vergleichen der ‚Fingerabdrücke’

Dass man durch Zählen der Jahrringe das Alter eines Baumes ermitteln kann, lernt jedes Schulkind auf dem Waldspaziergang. In der Dendrochronologie werden die Jahrringe nicht nur gezählt, sondern auf Hundertstel Millimeter genau vermessen. „Bevor ich ein Holzstück unter das Mikroskop lege, muss ich es mit einer Rasierklinge so zurechtschneiden, dass jeder Ring klar ersichtlich ist“, erklärt Felix Walder. „Dann beginne ich im Mark des Stammes und arbeite mich bis zur so genannten Waldkante vor. Das ist der letzte Ring, den der Baum gebildet hat, bevor er geschlagen wurde.“ Je nach Klima und sonstigen Lebensbedingungen sehen diese Ringe jedes Jahr anders aus. Die Messdaten werden im Computer gespeichert und als eine Art Bergpanorama sichtbar gemacht: Je breiter der Ring, desto höher der Gipfel - je schmaler der Jahrring, desto tiefer das Tal. Für sich allein sagt diese Aufzeichnung wenig aus. Sie muss mit der Daten-Sammlung verglichen werden, die das Labor im Lauf der Jahrzehnte aufgebaut hat und die zum Beispiel bei Eiche bis ins neunte Jahrtausend vor Christus zurückreicht. Findet sich eine Üebereinstimmung, lässt sich das Objekt datieren. So wie die Fingerabdrücke vom Tatort mit den Abdrücken in der Verbrecherdatei verglichen werden, um einem Täter auf die Spur zu kommen.

Zürich hatte die Nase vorn

Das Labor für Dendrochronologie gehört zur Archäologie und Denkmalpflege des Amts für Städtebau, welches wiederum dem Hochbaudepartement untersteht. Heute ist es in einer ehemaligen Fabrik beim Tiefenbrunnen untergebracht. Felix Walder führt durch die Loft-ähnlichen Räume und meint: „Hier haben wir viel Platz für unsere Proben.“ In den Regalen stapeln sich die Holzstücke, die helfen, die Zürcher Baugeschichte zu rekonstruieren. In Wasserbehältern lagern Reste von Pfahlbauten oder Brückenpfeilern, die nicht austrocknen. dürfen. „Unser Labor war das erste in der Schweiz“, erzählt Felix Walder. „ Es wurde 1969 vom damaligen Stadtarchäologen Ulrich Ruoff gegründet.“ Er begann mit dem Erstellen der Schweizer Standard-Chronologien für die hauptsächlich verwendeten Baumarten wie Eiche, Fichte und Weisstanne. Dabei konnte er sich auf Unterlagen von deutschen Kollegen stützen. „Der Austausch mit andern Labors im In- und Ausland ist recht gross“, sagt Felix Walder. „Einmal musste ich für das Museum Bellerive Lauten und Violen aus dem 16. Jahrhundert untersuchen. Da war ich froh um die Hilfe eines deutschen Kollegen, der sich ausschliesslich mit Musikinstrumenten befasst.“ Und, waren sie echt? „Einige waren hundert Jahre älter als angenommen!“ Selbstverständlich werden Kunstwerke und Antiquitäten vor der Vermessung nicht mit der Rasierklinge bearbeitet; ihre Jahrringe sind meistens deutlich sichtbar.

Archäologie, Biologie, Geologie, Geografie – viele Wissenschaftsbereiche profitieren von der Dendrochronologie. Einen eigentlichen Studiengang gibt es nicht, an gewissen Instituten werden bestenfalls Kurse angeboten. Auch darum sind Kontakte und Kongresse so wichtig. Und wie ist Felix Walder zu seinem Beruf gekommen? „Ich habe an der ETH Forstwirtschaft  studiert, brach das Studium aber ab und jobbte mal als Schreiner, mal im Wald sowie bei Ausgrabungen von Pfahlbausiedlungen. So kam ich 1991 in dieses Labor und bin seither am Lernen und Erfahrungen sammeln.“ Einerseits werden die Vermessungstechniken laufend verfeinert, andererseits bergen die Bäume noch unendlich viele Geheimnisse.“ Jeder Baum ist ein Individuum, und eigentlich weiss man bis heute nicht genau, was ein Jahrring überhaupt ist.“